Gloss.IT
Keltische und lateinische Glossen als Quellen für frühmittelalterlichen Sprachkontakt und Wissenstransfer
Glossen fungieren als Fingerabdrücke der Gesellschaft, in der Texte verfasst, kopiert und gelesen wurden. Vor allem spielen sie eine weitaus bedeutendere Rolle, als die bisherige Forschung anerkannt hat, und bieten Einblicke in das mehrsprachige und multiethnische Umfeld der mittelalterlichen Handschriften- und Textproduktion, die die Haupttexte nicht liefern können: Sie sind kontemporäre Zeugnisse der engen sprachlichen und kulturellen Kontakte zwischen Sprechenden der inselkeltischen Sprachen (Altbretonisch, Altirisch, Altwalisisch) und dem Lateinischen.
Gloss.IT. erforscht diese weitgehend vernachlässigte Quelle für den frühmittelalterlichen sprachlichen und intellektuellen Austausch in Westeuropa. In einer vergleichenden Studie zu den volkssprachlichen insularen keltischen und lateinischen Glossen wird gezeigt, dass die interlinearen und marginalen Glossen (oder Paratexte) der Handschriften des 9. bis 10. Jahrhunderts nur auf den ersten Blick einen marginalen Charakter haben. Ein auffälliger Mangel an Editionen war bisher ein starkes Hindernis für tiefergehende Untersuchungen.
Daher erstellt Gloss.IT. digitale Editionen, um die Wechselbeziehungen zwischen den beteiligten Sprachen (d.h. Latein/Volkssprache und intra-volkssprachlicher Kontakt) sowie den Wissenstransfer in den frühmittelalterlichen Glossierungstraditionen zu untersuchen. Dafür werden Methoden der vergleichenden Philologie und historischen Linguistik, digitale Geisteswissenschaften (Handschrifterkennung, Netzwerkanalyse, natürliche Sprachverarbeitung), (Kultur-) Geschichte und – in einem erstmals angewandten Ansatz – und der biologischen Informatik (Anwendung von DNA-Sequenzierungsmethoden auf Glossen) kombiniert.
Die Hauptquellen sind frühmittelalterliche Kopien der komputistischen Werke von Beda und Priscians lateinischer Grammatik, die insulare keltische und lateinische Glossen übermitteln. Zum ersten Mal stellt GlossIT deren Glossierungstraditionen in den Mittelpunkt einer groß angelegten Untersuchung des Sprachkontakts und Wissensaustauschs zwischen der keltischsprachigen Welt und dem Karolingerreich in einer Ära, die bis heute grundlegend für die intellektuelle Geschichte Europas ist.
Mag. Dr.phil. Bernhard Bauer
+43 316 380 - 5793
Institut für Digitale Geisteswissenschaften
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